In der Landsegnung baute der Bauverein im Inflationsjahr 1923 und später in 1925 einen ganzen Straßenzug zwischen Günther- und Karolingerstraße.
Historie
Am 21. Juli 1919 wurde im Hotel “Zur Post” in der Bahnhofstraße der Gemeinnützige Bauverein eG, Andernach gegründet.
Was war das für eine Zeit und was wollte dieser Bauverein ?
Im ersten Jahr nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg versuchten aufbauende Kräfte sich wieder zu regen. Um die Entwicklung von damals zu kennzeichnen, sei daran erinnert, dass die Weimarer Nationalversammlung am 31. Juli 1919 die neue Verfassung des Deutschen Reiches, die Verfassung der Weimarer Republik, beschloß.
Der Aufbau auf wirtschaftlichem Gebiet wurde jedoch zunächst einmal durch die Geldentwertung, die Inflation, abgestoppt. Sie war 1919 noch eine schleichende und steigerte sich dann zum Höhepunkt einer galoppierenden Inflation, bis am 23. Oktober 1923 eine Billion Papiermark gegen eine Rentenmark umgetauscht wurde.
Und die Menschen hofften . . .
1919: Die Preise stiegen ! In der damaligen “Andernacher Volkszeitung” war darüber zu lesen:
“Die unaufhörlichen Preissteigerungen und Mehrforderungen der Unternehmer und Wareninhaber wie der Angestellten und Arbeiter, die Streiks und das schändliche Treiben der Wucherer und Schieber, alle diese Veranlassungen, die oftmals zu ernstesten Unruhen, Ausschreitungen und Betriebsstörungen geführt haben, werden endlich aufhören müssen. Andernfalls wird es unausbleiblich werden, dass in unseren deutschen Landen alles, Städte und Gemeinden, Bürger und Bauer, Arbeitnehmer und Unternehmer, Geschäfts- und Handwerksmann, arm und reich, dass alles und alle zugrundegehen.”
Das erste Haus des Bauvereins war 1920 ein Jahr nach der Gründung fertig:
Güntherstraße 75.
Erschütterndes Wohnungselend
Der Zeitungsschreiber damals behielt nicht recht. Ein Umschwung blieb aus. Und es herrschte vorerst bittere Wohnungsnot. Die 1919 noch amerikanische und später französische Besatzung hatte viele Wohnungen beschlagnahmt. Die “Andernacher Volkszeitung” schrieb hierüber in einem für die Gründung des Bauvereins werbenden Bericht: Es sind keine menschlichen Verhältnisse mehr, wenn sieben und acht Personen beiderlei Geschlechts in einem einzigen Zimmer wohnen und schlafen müssen und nur dadurch ein Nachtlager haben, dass sie sich dasselbe auf der Erde bereiten. In der Stadt Andernach besteht ein Fehlbedarf von ungefähr 150 Wohnungen.” (Die Einwohnerzahl in Andernach betrug 1919 nicht ganz 10 000 Menschen).
Zum erstenmal Hausbesitzer wurde der Bauverein schon 1919, als er die 1900 von der “Arbeiterwohnungsgenossenschaft” erbauten Häuser Güntherstraße 77,79,18 und 83 übernahm.
Heiße Diskussionen
So kam es zur Gründung des Bauvereins. In der Gründungsversammlung befaßte man sich ernsthaft mit der Möglichkeit einer Verbilligung der Bauweise durch Selbstanfertigung der Schwemmsteine. Die Diskussion griff heiße Themen auf, indem gefragt wurde, wie man diejenigen zur Bereitstellung größerer Geldmittel heranziehen könne, die während des Krieges große Summen verdient hatten, also die “Kriegsgewinnler”. Man verlangte die Einsetzung einer Kommission, die alle Häuser darauf untersuchen solle, ob nicht einzelne Familien zu viele Wohnungen besäßen.
Männer mit sozialem Verständnis
Betrachtet man den, in der Versammlung gewählten Gründungsvorstand nach dem Beruf seiner Mitglieder, so muss man heute feststellen, wie gut man gewußt hat, was man wollte und welche Männer man hierzu benötigte: einen Volljuristen, einen Arbeiter, einen Handwerker, zwei Finanzsachkenner und einen Bautechniker. Im Einzelnen setzte sich der Gründungsvorstand zusammen aus: Amtsgerichtsrat van der Velden als Vorsitzenden, Fabrikarbeiter Emil Rummler, Schreinermeister Adam von Umbscheiden (der 1968 als letztes Gründungsmitglied und als langjähriges Vorstandsmitglied und Aufsichtsratsvorsitzender starb), Lehrer Johann Strüder, Rechnungsrat Wilhelm Anterist, Ortskassenrendant Kleinz, Bautechniker Jakob Nachtsheim.
In den Jahren 1927 und 1929 entstand die Genossenschaftsstraße, die ihren Namen nach den Häusern der Genossenschaft des Gemeinnützigen Bauvereins erhielt.
Der erste Aufsichtsrat
In gleicher Weise bestätigt aber auch die Zusammensetzung des ersten Aufsichtsrates des Bauvereins das Merkmal, daß sozialverständige Intellektuelle, unter ihnen allein vier Pädagogen, sich mit Arbeitern, Angestellten, kleinen Beamten, Handwerkern und Gewerbetreibenden zusammenschlossen, um den Wohnungsbau sozial zu steuern. Dem ersten Aufsichtsrat gehörten an: Oberlehrer Professor Schmitz als Vorsitzender, Kaufmann Johann Zimmermann, Bademeister Johann Axer, Fräulein F. Kalt, Postschaffner Jakob Schmidt, Direktor Dr. Anton Hamblock, Hotelbesitzer Anton Klein, Lehrer Johann Nachtsheim, Schlosser Johann Jox, Küfer Franz Kaiser, Oberlehrer Johann Lucas, Frau Krechel geb. Rörig, Arbeiter Michael Scherhag, Schreinermeister Ferdinand Schmidt, Kaufmann Max Lenz.
Mitglieder und Statuten
104 Andernacher Bürger trugen sich in der Gründungsversammlung in die Liste des Gemeinnützigen Bauvereins ein. Einmütig billigten sie die von Amtsgerichtsrat van der Velden verfaßten Statuten. In ihnen ist Sinn und Zweck der Baugenossenschaft klar und eindeutig mit folgendem Paragraphen festgelegt: ” Zweck des Unternehmens ist es, minderbemittelten Familien oder Personen gesunde und zweckmäßige Wohnungen in eigens dafür erbauten oder gekauften Häusern zu billigen Preisen zu verschaffen.”
Diese Statuten behielt der Bauverein bis zum 26. Juli 1930 bei, von welchem Termin an dann eine Mustersatzung des “Verbandes Rheinischer Baugenossenschaften in Düsseldorf” Geltung hat. Der Status der Gemeinnützigkeit wurde dem Bauverein am 25. Mai 1932 durch den Regierungspräsidenten in Koblenz verliehen.
Auch in der Straße “Im Boden” wurden 1923 drei Zweifamilienhäuser und ein Dreifamilienhaus gebaut.
Streit um “Feuerwehrkaserne”
Schon in der Gründungsversammlung des Bauvereins war das umstrittene Projekt zum Bau von 18 Wohnungen für Familien der Angehörigen der Städtischen Freiwilligen Feuerwehr in Form einer “Feuerwehrkaserne” von Professor Schmitz abgelehnt worden. In der nachfolgenden Stadtratssitzung rettete der spätere Andernacher Ehrenbürger Joba Kroth das Vorhaben dadurch, dass er als “völlig neues Argument” das baldige Verschwinden des häßlichen Gaskessels der damals hier engagierten Thüringer Gasgesellschaft (heute EVM) am Drususplatz durch die bevorstehende Ferngasversorgung Andernachs in die Waagschale werfen konnte. Joba Kroths Idee, die Feuerwehrmänner in einem einzigen Wohnbereich am “Feuerwehrdepot” an der Moltkestraße im Zuge der Goethestraße zusammenzufassen, hat sich rückblickend auf die Jahrzehnte durchaus bewährt und möglicherweise mit dazu beigetragen, daß die Städtische Freiwillige Feuerwehr in ihrer Einsatzfähigkeit mit einer Berufsfeuerwehr zu vergleichen ist.
Zu der umfangreichen Bautätigkeit des noch von der Weltwirtschaftskrise verhältnismäßig wenig betroffenen Jahres
1929 gehörten auch die Bauvereinshäuser Beethovenstraße 30, 32, 34, 36 und 38.
Die durch Bombentreffer im letzten Krieg zum Teil zerstörten Häuser Beethovenstraße 30 und 32 wurden 1949 wieder aufgebaut.
Stadt fördert den Bauverein
Wenige Tage nach der Gründungsversammlung beschloß der Stadtrat den Erwerb von 100 Geschäftsanteilen des Bauvereins im Betrage von jeweils 300 Mark und weiter einen Barbetrag von 100 000 Mark an den Bauverein. Dazu noch den Zuschuß des damaligen Reichskommissars für das Wohnungswesen für Wohnungen in der Landsegnung im Betrage von 36 000 Mark. Weiter stimmte der Stadtrat dem Antrag des damaligen Bürgermeisters Dr. Rosendahl zu, dass der jeweilige Bürgermeister dem Vorstand des Bauvereins angehören solle. Zweifellos hat dieser Stadtratsbeschluß im Wirken des Bauvereins zumeist etwas Gutes für sich gehabt.
Die Albertstraße wird ebenfalls von Bauvereinshäusern dominiert.
Die Arbeiterwohnungsgenossenschaft
Vier Wochen nach der Gründungsversammlung, am 22. August 1919, fand im Rathuas auf Initiative von Bürgermeister Dr. Rosendahl eine entscheidende Verhandlung über die Übernahme der Arbeiterwohnungsgenossenschaft Andernach in den Bauverein statt. Sie war 1899 mit 45 Genossen gegründet worden, wobei der damalige Bürgermeister Kerckhof Vorsitzender des Vorstandes und eine stattliche Zahl Arbeitgeber, nämlich Andernacher Fabrikanten und Gutsbesitzer der Umgebung, Mitglieder waren. Diese im damaligen kaiserlichen Deutschland von den oberen Schichten bewußt “sozial” geförderte Genossenschaft erbaute im Jahre 1900 die vier Zweifamilienhäuser Güntherstraße 77,79,81 und 83, geriet dann jedoch schon bald in Liquidation. 1919 erwarb der neugegründete Bauverein entsprechend dem Beschluß der Generalversammlung beider Genossenschaften diese vier Häuser. Diese wurden zwischenzeitlich abgerissen und neue Häuser wurden dort errichtet.
Das war kein Vorläufer
Man kann jedoch diese Arbeiterwohnungsgenossenschaft auf gar keinen Fall als einen Vorläufer des Bauvereins bezeichnen, denn dafür war sie trotz ihres 20jährigen Bestehens 1919 durch eine völlige Passivität allzu deutlich gekennzeichnet. Vielmehr besteht der Verdacht, dass zum Bau der vier kleinen Wohnhäuser 1900 bewußt der Rahmen einer sogenannten “Arbeiterwohnungsgenossenschaft” gewählt worden war, um darauf wieder die Hände in den Schoß zu legen.
Schon 1920 die ersten Häuser
War auch der Bauverein damit schon “Hausbesitzer” geworden, so wurde das Bauen damals immer ausischtsloser. In einer Zeit, in der auch in Andernach Notstandsarbeiten im Rahmen der Erwerbslosenfürsorge aufgenommen wurden und die “Papiermark” von Monat zu Monat weniger Wert besaß, erschien jedes Bauvorhaben abgestoppt. Dennoch brachte es der Bauverein fertig, ein Jahr nach seiner Gründung seine ersten beiden eigenen Häuser, nämlich das Dreifamilienhaus Güntherstraße 75 und das Zweifamilienhaus Landsegnung 39, präsentieren zu können. Wenn an dem schlichten Wohngebäude Güntherstraße 75 eine Gedenktafel für das erste, selbsterbaute Haus des Bauvereins befindet, so stellt dies ganz gewiß nicht ein Zeichen von Überheblichkeit dar. Damals unter schwierigsten Umständen gebaut zu haben, grenzt fast an ein Wunder. Doch gerade diese Tatsache bezeugt wohl am besten, wie ernst es den ersten Männern des Bauvereins um die Sache war. Sie entwickelten einen riesigen, von sozialer Verpflichtung angetriebenen Eifer.
Mit Zähigkeit durchgestanden
Auch in den folgenden Inflationsjahren legt der junge Bauverein die Hände keineswegs in den Schoß. Im schlimmsten Inflationsjahr 1923 werden nicht weniger als die beiden Dreifamilienhäuser Landsegnung 31 und 33 und in der Straße “Im Boden” drei Zweifamilienhäuser und ein Dreifamilienhaus (heute: Im Boden 39,41,43 und 45) gebaut. Insgesamt wurden so in der Inflationszeit acht Wohnhäuser mit 20 Wohnungen geschaffen. Die Zähigkeit, die der Bauverein in den Anfangsjahren unter geradezu aussichtlos erscheinen Umständen an den Tag legte, muß eine Ausstrahlungskraft besessen haben, so daß die Genossenschaft auch im Verlauf weiterer Jahrzehnte so manche Krise standhaft überwand und zielbewußt dem Auftrag nachging, den die Gründer ihm erteilt hatten.
Getreuer Ekkehard
Als getreuen Ekkehard des Bauvereins möchte man einen Mann bezeichnen, der während der ganzen Nachkriegszeit bis zu seinem letzten Tag zur Stelle war, wenn es um Dinge des Bauvereins ging: Adam von Umbscheiden. 1890 in Andernach geboren, war ein rechter Rheinländer, ein Handwerksmeister von solidem Können mit aller Aufgeschlossenheit für menschliche Gemeinschaft und sozialen Fortschrift. Er gehörte dem Gründungsvorstand im Jahre 1919 an, und sein wie auch der Wunsch des geschäftsführenden Vorstandsmit- gliedes Otto Krosch – beide verstanden sich bestens – war es, das Jubiläum des 50jährigen Bauvereins noch mitzuerleben und mitzugestalten. Beiden war es nicht vergönnt.